Veltens Hubregal
Das Glück des Reparierens
Irgendwann brachte ein sehr alter Herr einen sehr defekten Wasserkocher in die Werkstatt. Er sagte, er habe ja nun selbst nicht mehr lange zu leben und das Gerät habe ihn viele Jahre lang begleitet. Da könne er es doch nicht einfach so wegwerfen.
Ausschnitte aus dem Interview mit Velten
(Untertitel verfügbar)
Die Reparateure fanden heraus, dass die Heizdrähte Kontakt zum Gehäuse hatten. Der Fehler war nicht zu beheben, es bestand Lebensgefahr. Trotz dieser schwerwiegenden Diagnose bedankte sich der Mann herzlich. Klarheit über den Zustand des Wasserkochers zu bekommen, sei ihm wichtig. Nur so könne er sich guten Gewissens von dem Gerät verabschieden.
Velten Wilharm, der Leiter des Repair-Cafés in der Nordstadt von Hannover, erzählt diese kleine Geschichte, um zu verdeutlichen, dass es in seiner Werkstatt nicht nur um technische Fragen geht, sondern die menschlichen mindestens das gleiche Gewicht haben. Wenn elektrische Geräte oder andere Haushaltsgegenstände kaputt gehen, dann ist das wie eine kleine, aber spürbare Verletzung: Etwas in unserem Alltag zerbricht, Abläufe geraten ins Stocken, Fragen brechen auf. Wie komme ich jetzt zu einem knusprigen Toastbrot, wer trocknet meine Haare, wie soll ich jetzt abends noch lesen?
Wegwerfen und Neukaufen ist die heute übliche Lösung. Die einfachste Lösung ist das nicht, jedenfalls auf lange Zeit betrachtet. Ob wir wollen oder nicht, sind wir mit den Dingen verbunden. Einerseits vielleicht auf diese persönliche Weise wie der alte Mann und sein Wasserkocher. Andererseits auch auf einer übergeordneten, globalen Ebene: Wir alle wissen, dass der Verbrauch von Ressourcen viel zu hoch ist. Und trotzdem werfen wir Geräte, an denen vielleicht nur ein winziges, wenige Cent teures Teil defekt ist, in den Müll. Das ist die Hybris einer Konsumgesellschaft, die an sich selbst ersticken wird, wenn sie sich nicht neu besinnt.
Von der Fräse bis zum 3D-Drucker
Reparaturinitiativen stemmen sich gegen eine falsche Normalität. Sie tun das, weil es bislang sonst kaum jemanden gibt, der ein eigenes Interesse hätte, Dinge länger zu nutzen und so lange zu reparieren, bis wirklich nichts mehr geht. Velten leitet seit sieben Jahren das Repair-Café in der Nordstadt von Hannover. Die Werkstatt ist in der Szene für ihre hervorragende Ausstattung bekannt: Metall, Holz, Elektronik, für alles stehen hier Maschinen, Messgeräte und Material zur Verfügung, inzwischen gibt es auch einen 3D-Drucker. Besonders stolz ist der Werkstattchef auf ein Gerät, das bereits über vierzig Jahre alt ist: eine Fräse mit Computersteuerung. Velten hat sie – wie könnte es anders sein? – schon oft repariert und kennt sie in- und auswendig.
Aber natürlich kommt ein Reparateur auch an Grenzen: Da war zum Beispiel diese Billardballpoliermaschine. »Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt«, sagt Velten. Vier Stunden habe er an dem Gerät herumgeschraubt und noch immer nicht gewusst, ob er es wieder in Gang setzen kann. Großgeräte wie Waschmaschinen und Geschirrspüler werden im Repair-Café nicht bearbeitet, genausowenig wie Computer. »Dafür gibt es professionelle Kundendienste und denen wollen wir die Arbeit nicht wegnehmen.«
Nachhaltig ist nicht nur die Idee des Reparierens, auch die intensive Nutzung der Werkstatt folgt dem Prinzip bestmöglicher Auslastung: Vormittags bildet der Verein »Werk-statt-Schule« hier benachteiligte Jugendliche aus, nachmittags öffnet sich die Stadtteilwerkstatt für kundige Bastler und einmal im Monat findet dann das Repair-Café statt. Jede und jeder kann dann ein kaputtes Teil mitbringen und von Expert:innen begutachten lassen. Veltens Frau koordiniert die Kuchentheke, ein nicht zu unterschätzender Baustein im Konzept. Vor allem aber geht es einige Stunden lang ums Prüfen, Messen, Schrauben, Löten, Leimen. Und ums Beraten. Die Besucher:innen des Cafés sollen selbst aktiv werden. Sie sollen verstehen, was im Innern der beschädigten Gegenstände passiert.
Reparieren ist nicht nur eine Tätigkeit, sie ist eine Haltung. Velten will die Menschen aus ihrer »erlernten Hilflosigkeit« befreien. Das klingt beinahe so, als würde ihm der Philosoph Immanuel Kant über die Schulter blicken und daran erinnern, dass ein Repair-Café Aufklärungsphilosophie in praktisches Tun übersetzt. Wer hierher kommt, wird vielleicht auch einen »Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit« finden.
Ein anderer großer Satz von Velten lautet: »Es geht mir darum, Glück in die Welt zu bringen.« Was Reparieren mit Glücksgefühlen zu tun hat, kann er sogar neurowissenschaftlich herleiten: etwas instandzusetzen heißt, einen Zustand zu verbessern und dabei zu lernen. Genau dies sind Erfahrungen, die das Belohnungssystem im Gehirn anregen.
Repair-Cafés: Das Alltägliche ist politisch
Ehrenamtlich organisierte Reparaturtreffs gibt es schon länger. Aber erst 2009 entwickelte die niederländische Journalistin Martine Postma aus dem von ihr organisierten Repair-Café in Amsterdam einen systematischen Ansatz. Sie rief eine Stiftung ins Leben und gründete ein internationales Netzwerk, das Repair-Cafés unterstützt und lokale Aktive aus- und fortbildet (www.repaircafe.org). Ziele sind unter anderem die Förderung von Nachhaltigkeit, soziale Vernetzung und Aktivierung von ungenutztem Wissen.
In Deutschland sind viele Reparaturinitiativen unter dem Dach der Stiftung »Anstiftung« zusammengeschlossen (www.anstiftung.de). Sie setzt sich auf Bundes- und EU-Ebene dafür ein, dass Produkte nachhaltig und reparaturfreundlich gestaltet werden, künstliche Lebenszeitverkürzung (»geplante Obsoleszenz«) vermieden wird und Ersatzteile langfristig verfügbar sind. Die seit März 2021 gültige Ökodesign-Richtlinie unternimmt in dieser Richtung erste Schritte, sie betrifft allerdings nur wenige Produkte.
»In gewisser Weise hat es auch mich repariert.«
Diese menschlichen Themen waren dem Werkstattleiter im Übrigen lange unheimlich. Er bezeichnet sich selbst als „Interaktionslegastheniker“ und dabei lacht er so charmant, dass man ihm kein Wort glaubt. Bei technischen Fragen gebe es meist klare Ziele. »Aber in diesen Grauzonen werde ich schnell unsicher. Dass ich das hier jetzt machen kann und so viel Bestätigung bekomme, hat mir viel Sicherheit gegeben. Das Repair-Café hat in gewisser Weise auch mich repariert.«
Veltens Weg bis zu dieser erfüllenden Rolle war lang und nicht immer einfach. Mit 33 Jahren, nach zwei abgebrochenen Studien und nach Jobs, die ihn krank machten, besann er sich auf das, was er seit seiner Jugend tun wollte: »Ich war schon immer ein Fahrradschrauber.« Das zu tun, was dem eigenen Antrieb entspricht, war seine Rettung. Die Ausbildung zum Zweiradmechaniker absolvierte er mit Bravour und Spaß, später arbeitete er als Ausbildungsleiter in der Jugendwerkstatt. Dann wurden Fördergelder gestrichen, eine schwere Krankheit überlebte er nur knapp. Und trotz der Folgeschäden gewann er als Frührentner wieder etwas Freiheit zurück: die Freiheit, einer Eingebung zu folgen.
»Dass ich ein Repair-Café gründen muss, das habe ich geträumt«, sagt er. Und die Möglichkeit, es in der hervorragend bestückten Werkstatt zu eröffnen, eine einmalige Chance. Aber auch eine Herausforderung: Dutzende Reparateure müssen koordiniert werden, Materialien bestellt und Werkzeuge gepflegt. Um die vielen tausend Kleinteile für elektronische Geräte platzsparend unterzubringen, hat sich Velten etwas ausgedacht: eine Regalwand, die sich elektrisch nach oben fahren lässt, wenn man sie nicht benötigt. Kondensatoren, Widerstände, Schalter, Stecker, Sicherungen – mehrere hundert kleine Schubladen bergen diesen Schatz. Schon vor Jahren hatte Velten die Idee zu dem fahrbaren Regal. Aber erst jetzt, während des Lockdowns, konnte er sie umsetzen. Alles selbst montiert, auch die Profile in den Führungsschienen hat er eigenhändig gefräst.
So konnte er den erzwungenen Stillstand nutzen, um ein FABELHAFTES DING zu erschaffen, ein Regal, das für all das steht, was Veltens Lebensglück ausmacht: selbst denken, selbst machen, einem Traum Struktur geben, die Technik so nutzen, dass sie auch anderen nützt.
Kontakt und Informationen: www.repaircafe-hannover.de