Dagmars und Lars’ selbst gebaute Langlaufskier

Zwischen Großraumjet und hölzernen Skiern

Da stehen sie, an die Backsteinwand eines jahrhundertealten Hofgebäudes gelehnt, draußen in Wettmar, einem Dorf nördlich von Hannover.

Ausschnitte aus dem Interview mit Dagmar und Lars
(Untertitel verfügbar)

Diese vier Skier lassen noch erkennen, was das norwegische Wort bedeutet: Bretter, Scheite. Für jeden Ski wurde nur ein einziges Stück Eichenholz verwendet, nichts sonst. Das Material stammt aus einem der umliegenden Wälder, es wurde mit feiner Körnung geschliffen und lackiert. Vorn haben sie eine gebogene Spitze und hinten laufen die Skier schmal zu. Die Bindung ist denkbar einfach: Riemen halten die Stiefel auf einem aufgeschraubten Blech fest, soweit, wie das für den Langlauf im flachen Gelände nötig ist.

Mittlerweile ist es über ein Jahr her, dass Lars, von Beruf Zimmermann, diese Skier für sich und seine Frau Dagmar angefertigt hat. Es waren die Tage des ersten Lockdowns, als plötzlich so vieles stillstand. »Ich hab’ gedacht, der ist verrückt«, sagt Dagmar lachend. Sie hat das überschäumende Temperament auf den alten Hof in Wettmar gebracht. Lars hingegen, der dort aufgewachsen und verwurzelt ist, nimmt den Überschwang mit freundlicher Geduld hin und erinnert sich an diese sonderbare Zeit. »Es hatte ja noch einmal geschneit und da habe ich gedacht: Wenn wir jetzt Skier hätten – das wäre toll. Aber sie online zu bestellen, hätte ja mehrere Tage gedauert.«

Ein interessanter Ansatz: Wenn es online zu lange dauert, dann gehst du halt in die Werkstatt. Dorthin verschwand Lars. Für einige Stunden. Er sei ein Mann mit goldenen Händen, gibt Dagmar zu Protokoll, einer, der Dinge auch dann hinbekommt, wenn er so etwas nie zuvor gemacht hat. Ihre anfängliche Skepsis wich grenzenlosem Neid, als sie sah, wie Lars auf dem ersten Paar Skiern elegant durch den weißen Pulverschnee glitt.

Um gemeinsam rauszufahren, musste ein zweites Paar her. Auch die Bindung, anfangs aus einem Geflecht von Schnürsenkeln angefertigt, wurde noch optimiert. Es gab auch Rückschläge. »Als ich einen kleinen Hügel runterfuhr, sind die Skier durchgebrochen. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt«, erzählt Dagmar. Aber der unermüdliche Handwerker ließ sich nicht lange bitten und fertigte ein drittes Paar, dieses Mal aus etwas dickerem Holz. In den folgenden Tagen fuhren die beiden durch eine eingefrorene Welt, ein Winterurlaub ohne Hotel und Lift, aber mit Après-Ski im Garten.

Vom Himmel geholt

Es waren Momente, in denen die beiden voller Dankbarkeit darüber staunten, wie viel Glück in dieser Zeit möglich ist. Die Eichenskier holten in ihrer urtümlichen Einfachheit ein Gefühl zurück, das viele mit dem Lockdown verbinden: Es ging plötzlich um elementare Fragen. Nach der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, nach Klinikbetten und Sauerstoff, aber auch um die Frage, wie jede und jeder mit sich selbst klarkommt, wenn die Kontakte stark eingeschränkt sind.

Skier und Schneeschuhe gehören zu den ganz frühen Fortbewegungsmitteln der Menschheit – die ältesten archäologischen Funde führen etwa zehntausend Jahre zurück. Der Eindruck, in eine Steinzeit katapultiert zu werden, musste sich vor allem Dagmar aufdrängen. Nicht auf Schneebrettern, sondern in großen Linienflugzeugen war sie bis zum Beginn der Coronakrise als Flugbegleiterin unterwegs gewesen. Fast immer Langstrecke: São Paulo, New York, Tokio – ein temporeiches Leben. »Mein Lebensrhythmus war schnell, ich habe ständig neue Eindrücke bekommen. Mir hat das gefallen.« Dann kam die Vollbremsung. Ein volles Jahr lang ist sie nicht geflogen, hat nur gelegentlich Kurse besucht, um die Arbeitsabläufe nicht zu vergessen. Mit der Angst um ihre berufliche Existenz muss sie bis heute leben – Sicherheit gibt es nicht.

Eine Reise nach innen

Die Schneetage im Frühjahr 2020 brachten eine neue Form von Bewegung. Gleiten über stille, weiße Felder. Und auf einen anderen Trip hat sich Dagmar begeben – sie nennt ihn »Reise nach innen«. Während ihr Mann weiterhin seinen handwerklichen Aufträgen nachkommen konnte, rückte bei Dagmar ungeplant, aber nicht unwillkommen, ihr zweiter Beruf wieder in den Mittelpunkt: Sie ist studierte Künstlerin. Ihr Temperament und ihre Lebensfreude richtete sich auf ihre Bilder und die Frage, wie sie das, was sie erlebt, ausdrücken kann. Auf den Gemälden sieht man farbreiche Motive, Pflanzen und Blüten, die sie durch verschiedene Bearbeitungstechniken mal zu einer wirkungsvollen Plastizität bringt, mal an den Rand der Abstraktion treibt.

»Ich bin ein positiver Mensch«, sagt sie, »und ich glaube, dass man in fast jeder Lebenssituation auf sein eigenes Glück hinarbeiten kann.« Sie und ihr Mann leben in einem Paradies – und das wissen sie. Viele, die das Jahr der Lockdowns mit ihren Kindern in engen Stadtwohnungen verbringen mussten, hätten wohl gerne mit den beiden getauscht. Das Niedersachsenhaus, dessen Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, ist groß genug, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen. Auf dem Grundstück mit alten Bäumen, weitläufigem Garten und zwei Nebengebäuden gibt es viel Auslauf und immer etwas zu tun.

Und doch schützt ein solcher Ort nicht vor den Unsicherheiten und der Beklommenheit, die von der Coronakrise ausgehen. Bewegung im Stillstand, Genuss in einer angstbesetzten Zeit, solche als paradox empfundenen Momente hat wohl fast jeder während des ersten Lockdowns erlebt. Die Touren auf den Holzskiern waren dann eine sehr spezielle Variante dieser neuen Freude am Mikroabenteuer. In Dagmars Leben hat die Zeit tiefe Spuren hinterlassen. Sie hat sich auf ihre Wurzeln besonnen, hat ihre inneren Kräfte aktiviert. In den letzten Monaten ist dazu sogar ein Buch entstanden, für das sie jetzt einen Verlag sucht. Und es soll keine vorübergehende Auszeit sein – sie wird in Zukunft weniger durch die Luft jetten und stattdessen mehr Zeit mit den Themen ihrer inneren Reise verbringen.